Putins Schwäche, Putins Stärke
Ob Putins Revolution eine demokratische bleibt, wird besonders davon abhängen, ob er wieder auf autokratische Methoden zurückgreifen wird - Gastkommentar
Von Wjascheslaw Nikonow
Wird der Untergang des U-Bootes "Kursk" und der Tod seiner gesamten Besatzung auch die Putin-Revolution versenken? Bis dato war Putins Macht einmalig in der russischen Geschichte - sie basierte auf seiner ungeheuren Popularität, einer durch Abstimmung legitimierten Popularität. Ihm gelang, Russlands Oligarchen derart einzuschüchtern, dass sie sich unterwarfen, und das Oberhaus der Duma umzugestalten, damit es sich seinem Willen beuge. Sein Umgang mit der "Kursk"-Krise hat jedoch diesem demokratischen Mandat geschadet, da Putin menschliches Leben ebenso zu verachten scheint wie all seine Vorgänger im Kreml. Ob Putins Revolution eine demokratische bleibt, wird besonders davon abhängen, ob er wieder auf autokratische Methoden zurückgreifen wird. Seine größte Bewährungsprobe allerdings werden die bedrohlich näher rückenden Regionalwahlen in vielen Teilen Russlands sein, die zwischen Oktober und Dezember stattfinden. Da die Wiederherstellung von Moskaus Autorität im ganzen Land ein zentraler Punkt im Programm des Präsidenten ist, muss er schnell seine Popularität wieder erlangen.
Obgleich Putins Reformen des Oberhauses der Duma die Gouverneure bereits ihres Status als Makler der föderalen Macht wie auch ihrer parlamentarischen Immunität beraubten, sind die Gouverneursposten weiterhin mit großer Macht ausgestattet. Wenige können auf nationalen Bühnen dem Kreml eine lange Nase machen, wie sie es in der Jelzin-Ära liebten, aber ihre Macht ist real, und es wird nicht leicht sein, sie zu brechen. Putins Regentschaft hat bereits den Charakter dieser Wahlkampagnen verändert. Es kommt heute auf die Kontrolle der administrativen Macht an, und die Ernennung von Präsidialpräfekten in ganz Russland gibt dem Kreml einen machtvollen Einfluss bei der Lenkung der Staatsverwaltung. Da Wahlkampagnen billiger sein werden, könnten es die Gouverneure schwierig finden, ihre Wiederwahl einfach zu erkaufen, denn auch Gegenkandidaten werden in der Lage sein, eine glaubwürdige Opposition zu inszenieren. Die Oligarchen, die einst in der Hoffnung enge Bindungen an die regionalen Bosse suchten, sich die Unterstützung der Gouverneure bei der Kontrolle lokaler Fabriken, Bergwerke und anderer Kapitalanlagen zu sichern, sind von Putin eingeschüchtert worden. Seine "Botschaft" ist klar: Haltet euch aus der Politik heraus! Man wird sehen, ob die Oligarchen diesen Moment der Schwäche Putins für einen Rollback nutzen werden.
Noch aber profitiert Putin von einer gewandelten Ökonomie. Lediglich 17,9 Prozent aller Wähler betrachten die Lage des Landes als "katastrophal", der niedrigste Prozentsatz seit dem Ende des Kommunismus. So verlieren auch Wahlen allmählich den Charakter bloßer Protestveranstaltungen. Darüber hinaus ist das ökonomische Wachstum überall spürbar. In einigen Gegenden, beispielsweise in der Region Scheljabinsk, erreicht es seit einem Jahr einen Spitzenwert von sagenhaften 25 Prozent. Fast könnte man von einem demokratischen "feel-good"-Faktor sprechen, der im Spiel ist bei diesem kleinen "Wirtschaftswunder".
Putin ist etwas in der russischen Geschichte Einmaliges gelungen: Nicht auf Grund von Propaganda, sondern weil die Lebensverhältnisse spürbar besser werden, ist das Volk mit der Leistung seiner Regierung zufrieden. Die jede Wahl dominierende große Schlacht der Kommunisten gegen demokratische Reformen gehört endgültig der Vergangenheit an. Für die Menschen ist Ideologie out. Für sie sind Preise, Arbeitsmöglichkeiten, Gesundheitsversorgung und Erziehung von weit größerer Bedeutung. Wie die Reaktion auf die "Kursk" zeigt, wollen sie eine Regierung, in der humane Werte ihren Niederschlag finden.
Es sieht so aus, als ob sich der Kreml darauf freuen kann, die notorischen "roten Gouverneure" von Brjansk, Wolgograd und Woronesch durch das ganz normale Wirken der Demokratie loszuwerden, vorausgesetzt natürlich, es finden freie und faire Wahlen statt. Dasselbe gilt in Regionen mit bekannten, aber unberechenbaren Gouverneuren wie Kursk mit Gouverneur Ruzkoi (der den Staatsstreich gegen Jelzin im Oktober 1993 anführte) und Kaliningrad mit seinem korrupten Gouverneur Gorbenko an der Spitze. In jenen Regionen jedoch, denen starke Politiker vorstehen - beispielsweise Astrakan, Scheljabinsk, Krasnodar und Stawropol - ist es auf Grund des Schadens, den Putin in der vergangenen Woche anrichtete, unwahrscheinlich, dass er in der Lage sein wird, in Opposition zu ihm stehende Führungspersönlichkeiten zu verdrängen. Was letztlich etwas zutiefst Beruhigendes hat: Die Präsidentenmacht ist nun von der Unterstützung des Volkes abhängig. Und ist die Zustimmung der Regierten nicht das, worum es bei Demokratie im eigentlichen Sinne geht? Vielleicht werden deswegen die Seeleute der "Kursk" nicht ganz umsonst gestorben sein