Sizilien
Die Mafia kontrolliert alle Aufträge
Von Esther Koppel
27. Juli 2002 Es war ein ganz normaler Autounfall. Der Fahrer, ein sizilianischer Kleinunternehmer, hatte die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren und den Aufprall nicht überlebt.
Neben ihn lag ein kleines Köfferchen, dessen Inhalt der Polizei allerdings Rätsel aufgab: verschiedene Stempel von Gemeinden, zwei extrem scharfe Brieföffner, ein besonderer Papierkleber, der keine Spuren hinterlässt, Siegellack und eine CD-Rom mit den Angeboten verschiedener Firmen für einen öffentlichen Bauauftrag. Nach einer kurzen Untersuchung war klar: Es handelte sich um die Ausrüstung, um einen Auftrag auf kriminelle Weise an sich zu reißen.
Nichts geht ohne die Mafia
Dass die Mafia bei der Vergabe der öffentlichen Aufträge ihre Hand im Spiel hat, war schon immer klar. Aber die Erkenntnis, dass sie praktisch die Gesamtheit aller Vergaben kontrolliert, die ist neu - oder wurde zumindest noch nie so offiziell bekundet. Aber genau diesen Alarmruf hat das Amt für die Kontrolle der öffentlichen Bauaufträge jetzt ausgestoßen: In einem Bericht an alle Staatsanwaltschaften und die Anti-Mafia-Einheiten der Polizei heißt es klar und deutlich: Alle 72 öffentliche Bauaufträge, die im vergangenen Jahr in Sizilien erteilt wurden und die Krankenhäuser und Schulen, Straßen und Staudämme, Abwässerkanäle und Aquädukte betreffen, wurden wahrscheinlich von der Mafia kontrolliert und müssen möglicherweise noch einmal zur Ausschreibung gebracht werden.
Das bestätigt auch der Oberstaatsanwalt von Palermo, Piero Grasso: „Es gibt nicht einen einzigen öffentlichen Bauauftrag, der nicht von der Mafia kontrolliert wird und meistens sind es große Unternehmergruppen, die die Vergaben unter sich aufteilen“.
Pathologische Entwicklung
Dass es sich um weit mehr als nur um einen Verdacht handelt, belegen Statistiken und Zahlen. Bei einer Ausschreibung geben Verwaltungseinheiten (Gemeinde, Provinz oder Region) einen Grundbetrag an, den die Firmen, die sich um die Vergabe bewerben, dann unterbieten können. Im nationalen Mittel liegt der Betrag, für den der Auftrag schließlich erteilt wird, um 16,2 Prozent niedriger als die ursprüngliche Summe. In der Region von Neapel sind es sogar 30 Prozent und in Rom immerhin über 25. In Sizilien sind es aber gerade mal 4,6 Prozent, und auch diese Zahl trügt noch. 75 Prozent aller Aufträge wurden mit einem Abschlag von weniger als einem Prozent gegenüber dem ursprünglichen Preis erteilt - in Palermo sogar 95 Prozent.
Deswegen werden jetzt alle Verwaltungseinheiten aufgefordert, „die Ausschreibungen noch einmal zu überprüfen, um herauszufinden, ob die Offerten durch den lokalen Markt gerechtfertigt sind oder ob sie nicht eher der Ausdruck einer Pathologie sind, die auf dem Territorium verwurzelt und verbreitet ist!“. Aus der Amtssprache übersetzt heißt das schlicht und einfach: Die Mafia kontrolliert alle öffentlichen Gelder, die in die Insel fließen.
Für Nachschub ist gesorgt
Allein für die kommenden Jahre haben Rom (aber auch Brüssel) schon zwölf Milliarden Euro zugesagt, die für Straßen, Häfen und Flughäfen (sechs Milliarden), Infrastrukturen im Rahmen der „Agenda 2000“ (drei Milliarden), gegen die Wasserknappheit (zwei Milliarden) und für den Bau von Krankenhäusern (eine Milliarde) genutzt werden sollten. Dazu kommen noch die fast schon unzähligen Milliarden, die für den Bau der Brücke über die Meerenge von Messina und jetzt, nach dem letzten Eisenbahnunglück mit acht Toten und über 30 Verletzten, für die Modernisierung des Schienennetzes vorgesehen sind.
Alles Gelder, die zumindest zu einem guten Teil letztlich in den Taschen der organisierten Kriminalität landen könnten. Die Mafiaclans sorgen dafür, dass sich die Unternehmen untereinander absprechen und sich die verschiedenen Aufträge aufteilen und schließlich auch noch andere Firmen mit Unteraufträgen versorgen, so dass die „Pax mafiosa“ ja nicht gestört wird. Dass dazu politische Unterstützung notwendig ist, versteht sich von selbst.
Task-Force für mehr Transparenz
Doch für den Oberstaatsanwalt von Palermo gibt es auch Möglichkeiten, um diese Machenschaften einzudämmen: „Man müsste sich etwas ausdenken, um die Ausschreibungen transparenter zu machen und vielleicht können einem die modernen Informatik-Technologien dabei behilflich sein. Außerdem müsste man die Baustellen kontrollieren um sicherzustellen, dass die Gewinner der Ausschreibungen die Arbeiten dann auch tatsächlich selber ausführen. Und außerdem auch noch die Einkäufe, sei es nun Zement oder eine Baumaschine, zentral steuern“.
Deshalb hat die Staatsanwaltschaft jetzt vorgeschlagen, dass eine Art Task-Force eingerichtet wird, die sich ausschließlich um die Vergabe der öffentlichen Bauaufträge in Sizilien kümmert. Das wäre nicht nur ein gewaltiger Schlag gegen die Mafia sondern würde für den Steuerzahler auch Beträge in Milliardenhöhe einsparen.