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Toni Schönfelder
A lifetime of innovation

Wut der Wirtschaft wächst


Von Sonja Banze und Cornelia Schmergal
Die Welt Sonntag 7 juli

Die deutsche Wirtschaft geht aufs Ganze und fordert eine Rosskur für den Standort D - innerhalb eines halben Jahres

Können die Verantwortung nicht von sich weisen: Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD, l.) neben Bundes-kanzler Gerhard Schröder (SPD)
Jeden Abend wird es wieder dunkel. Darüber kann man sich aufregen. Man kann die Finsternis abschaffen wollen oder sich geschlagen geben.

Der Sonnenuntergang ist ein Naturgesetz. Fast so wie Deutschlands Reformunfähigkeit. Doch die deutsche Wirtschaft macht nun mobil gegen das Naturgesetz Reformunfähigkeit. Gemeint ist die Politik. Schröder sowieso. Und Stoiber auch.

Jetzt, knapp zehn Wochen vor dem Wahltermin, geht die Wirtschaft aufs Ganze. Fordert Reformen an Haupt und Gliedern. Die nächste Regierung - egal wer das Rennen macht - solle was tun. Am besten in den ersten sechs Monaten der neuen Legislatur. Das komplette Sozialversicherungssystem, der Flächentarif, Steuern, Arbeitsmarkt, Bürokratie, das Wettbewerbsrecht, der Ladenschluss - alles gehöre reformiert. Grundlegend.

Ökonomen wie der frühere Wirtschaftsweise Jürgen Donges bringen das Wort Reformen nur noch widerwillig über die Lippen. Seit zehn Jahren werde debattiert, die Rezepte seien hinlänglich bekannt. Was passiert? Nichts. Jedenfalls zu wenig.

In den Banktürmen Frankfurts wird bereits einer Totaloperation Deutschlands das Wort geredet. Bis März 2003 müsse die neue Regierung die Reformarbeit erledigt haben. Komplett. Dann solle man sie wirken lassen.

BDI-Präsident Michael Rogowski bettelt gar schon um Reformen auf Zeit. "Lassen Sie uns doch einfach mal Gesetze verabschieden mit einem Verfallsdatum", schlug der Spitzenlobbyist der deutschen Industrie neulich in Berlin vor. "Wenn das dann nix ist, kann man das Gesetz auslaufen lassen".

"Die Aufgaben der deutschen Bundesregierung, wer immer sie nach dem 22. September stellt, sind gewaltig", mahnt auch Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt gegenüber WELT am SONNTAG. Deutschland sei derzeit auf dem Weg von einer Wirtschafts- zu einer Abstiegsnation. "Vor allem die ausufernden Sozialversicherungen und eine falsche Arbeitsmarktpolitik haben uns zum Schlusslicht in Europa gemacht", sagt der BDA-Chef. "Die Chancen für Reformen sind umso größer, je offener eine künftige Bundesregierung die Probleme beim Namen nennt und nicht auf Schein- und Pseudo-, sondern auf solide Lösungen setzt."

Wann, wenn nicht jetzt? Auch Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser macht Druck: "Es muss was passieren. Jede Bundesregierung, egal wer sie stellt, wird die unerledigten heißen Eisen anpacken müssen." Die Schwäche der Politik der vergangenen Jahre sei gewesen, sich zu sehr um Ausgleich der gesellschaftlichen Interessen zu bemühen, ohne eine eigene durchgängige ordnungspolitische Linie zu finden.

Selbst Altvordere wie Ex-Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer oder der ehemalige Vorstandschef der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, legen noch einmal ihr ganzes Gewicht in die Waagschale. Tietmeyer hielt diese Woche ein flammendes Plädoyer: "Wir müssen in der Bevölkerung die Bereitschaft wecken, die Probleme anzupacken, die Chancen von Veränderungen zu sehen - nicht nur die Risiken." Die Wirtschaft fiebert dem 22. September entgegen. "Auf die ersten sechs Monate kommt es dann an - das ist meine, über Jahrzehnte gewonnene Erfahrung", so Tietmeyer.

Was auf der Agenda der Reformen stehen muss? Arbeitgeberpräsident Hundt: "Deutschland benötigt eine Umkehr vor allem in der Arbeitsmarktpolitik, im Arbeitsrecht, bei den sozialen Sicherungssystemen und in der Bildung. Auf dem Arbeitsmarkt müssen die Menschen aktiviert und nicht abgestellt werden. Im Arbeitsrecht gilt die Devise "weniger Vorschriften und Gängelungen", damit mehr Arbeitsplätze entstehen. Bei den Sozialversicherungen ist eine Fortsetzung der Kostenspirale nicht mehr hinnehmbar. Die Summe aller Beiträge für die Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung muss auf 38 Prozent gesenkt werden."

Immerhin wittern die Wirtschaftsfürsten erste Reformen durch die Arbeit der Hartz-Kommission. Martin Kannegiesser erzählt: "Meine erste Reaktion auf das Hartz-Papier war: Jetzt kommt endlich was in Bewegung. Denn momentan mangelt es breiten Teilen der Bevölkerung an Vertrauen und Planungssicherheit. Deshalb leiden wir unter einer ausgeprägten Investitionsschwäche. Die meisten Konsumenten sitzen wie in einem Loch und rühren sich nicht."

"Wenn wir nach dem 22. September das nahe Liegende nicht sofort angehen - losgelöst von Landtagswahlen -, riskieren wir einen Zeitverlust, der wieder dazu führt, dass die nächste Regierung erst im dritten Jahr ihrer Amtszeit an echte Reformen herangeht. Das war schon bei der Lohnfortzahlung unter der alten CDU-Regierung falsch und darf sich nicht wiederholen", mahnt Rüdiger von Voss, Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates.

Der Wirtschaftsrat hat dagegen - den Wahlsieg vorausgesetzt - eine Agenda für eine große Staatsreform aufgestellt. Von Voss empfiehlt, nicht nur über ein Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit nachzudenken, sondern auch über ein neues Ministerium für Alterssicherung und Sozialleistungen - ein "Transferministerium". Eine solche Staatsreform solle bei einer Generalrevision der Bundesbehörden beginnen und bei einer Neubewertung des Föderalismus enden. Eine Vision.

Erst recht, wenn man weiß, dass die Bremser in den Parteien schon die Hand an den Steuerknüppel legen. Hinter den Kulissen macht Roland Koch, Hessens Ministerpräsident, derzeit kräftig mobil. Ende Februar will er seine Wahlen gewinnen. Sollte sich Stoiber durchsetzen, mahnt Koch jetzt, müsse man die bitteren Pillen auf die Zeit nach dem März verlegen. Doch dann ist Niedersachsens Christian Wulff dran.

Und die SPD? Hans Eichel bleibt unbeirrt: "Ich sage ganz selbstbewusst: Wir sind auf dem richtigen Weg." Falsch.


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