Putin startet Angriff gegen seine Kritiker
Russlands Präsident beschuldigt Oligarchen, aus der "Kursk"-Katastrophe Kapital zu schlagen - Hinterbliebene trauern an der Unglücksstelle
Von Jens Hartmann
Moskau - Russlands Präsident Wladimir Putin hat Vorwürfe zurückgewiesen, bei der Katastrophe des Atom-U-Bootes "Kursk" hätten er und die Armeeführung versagt. "Man kann nur feststellen, dass die Vorwürfe in Richtung der Militärs, sie hätten inkompetent gehandelt und nicht rechtzeitig über die Tragödie informiert, jeglicher Grundlage entbehren", sagte der Kremlchef gegenüber dem staatlichen Fernsehsender RTR. Die Entlassungsgesuche von Verteidigungsminister Igor Sergejew, dem Flottenchef Admiral Wladimir Kurojedow und dem Chef der Nordflotte, Admiral Wjatscheslaw Popow, lehnte Putin vorerst ab. Zum Ablauf der Rettungsarbeiten sagte der Staatschef gegenüber RTR schlicht die Unwahrheit: Ausländische Hilfe sei sofort, als sie angeboten wurde, angenommen worden. Die norwegischen Retter hätten jedoch zu lange gebraucht. De facto hatte die Militärführung jedoch drei wertvolle Tage vertrödelt, bevor sie die Hilfe der Briten und Norweger akzeptierte und später noch die Rettungsarbeiten durch bürokratischen Wirrwarr und Fehlinformationen behindert. Putin ging unterdessen zum Gegenangriff über und beschuldigte die russischen Oligarchen, in ihren Medien die "Kursk"-Katastrophe missbraucht zu haben, "um Kapital zu schlagen oder Gruppeninteressen zu verteidigen. Einige von ihnen haben sogar eine Million Dollar gesammelt. Besser hätten sie ihre Villen an der Mittelmeerküste Frankreichs und Spaniens verkauft. Aber dann hätten sie erklären müssen, warum diese Immobilien über Strohmänner und juristische Personen registriert sind. Und dann hätten wir gefragt, woher das Geld kommt", so Putin.
Damit nahm der Präsident besonders zwei Medienzaren ins Visier: Wladimir Gussinski (47) und Boris Beresowski (54). Gegen Gussinski, der den Konzern "Media-Most" leitet, zu dem der größte russische Privatsender NTW gehört, initiierte der Kreml mit Hilfe der Generalstaatsanwaltschaft bereits ein Strafverfahren wegen Betrugs, das eher an eine politische Abrechnung erinnert. Nun muss Gussinski befürchten, dass ihm wirtschaftlich der Garaus gemacht wird. Der milliardenschwere Tycoon Boris Beresowski - zu seinem Imperium gehören die TV-Sender ORT und TV-6 sowie mehrere Zeitungen - sieht sich inzwischen in Opposition zu Putin. Im vergangenen Jahr war es Beresowski, der die politische Karriere Putins erst ermöglicht hatte.
Beresowski wies die Kritik des Kremlchefs zurück. "Putin zeigt mit dem Finger auf andere und begeht damit einen weiteren schweren Fehler." Putin deutete an, sich in Zukunft mehr um die Belange der Streitkräfte - deren Zustand bezeichnet er als "erniedrigend" - kümmern zu wollen und die Armeereform voranzutreiben. "Ich werde mit der Armee, mit der Flotte und mit dem Volk sein", sagte der Staatschef. Im Gespräch ist offenbar eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben, die zur Zeit rund sieben Milliarden Dollar pro Jahr betragen, und der Subventionen für die Rüstungsindustrie. Die 1,2 Millionen Mann starken Streitkräfte müssten kompakter werden, deutete Putin eine Reduzierung der Truppenstärke an. Russland müsste eine Armee "gemäß seiner Bedürfnisse und Möglichkeiten" haben.
Die Umfragewerte Putins, der der U-Boot-Katastrophe zum Trotz seinen Urlaub nicht unterbrochen hatte, liefen nicht mit der "Kursk" auf Grund. So vertrauen 65 Prozent der Russen Putin, vor der Katastrophe waren es 73 Prozent, wie das Meinungsforschungsinstitut VZIOM herausfand. Besonders in der Provinz sei kaum ein Einbruch bei den Umfragewerten festzustellen gewesen, sagte VZIOM-Direktor Juri Levada. "Das sind Leute, die sich einen Favoriten gewählt haben und sich nicht von ihm trennen wollen. Er ist ohne Alternative. Das ist leider die heutige Situation", meint der Soziologe. Paradoxerweise beurteilten die meisten Befragten Putins Aktivitäten wie den Tschetschenienkrieg und den Kampf gegen die Oligarchen negativ. Allein die Erhöhung der Renten habe ihm Pluspunkte eingetragen. "Trotzdem hat sich die allgemeine Stimmung, Putin zu unterstützen, erhalten."
Während Putin den Oligarchen drohte, fuhren 150 Hinterbliebene am Donnerstag von der Marinegarnison Widjajewo aus mit dem Schiff zur Unglücksstelle in der Barentssee, um dort Kränze und Blumen ins Meer zu werfen. Als Andenken an die 118 ertrunkenen Matrosen und Marineoffiziere bekommt jede Familie der "Kursk"-Opfer eine Flasche Meerwasser vom Ort der Katastrophe.