Neue Vorwürfe gegen Jelzin-Clan Westliche Kredite veruntreut
politik.diepresse.at
Neue Vorwürfe gegen Jelzin-Clan
Westliche Kredite veruntreut
Ein Schweizer Ermittler klagt an und belastet sowohl einen früheren als auch den jetzigen russischen Regierungschef schwer.
Von unserer Korrespondentin ELKE WINDISCH
--------------------------------------------------------------------------------
MOSKAU. Schweizer Ermittler haben erneut schwere Geschütze gegen den Jelzin-Clan aufgefahren, wegen Veruntreuung von Krediten, die Rußland vom Internationalen Währungsfond (IWF), der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und einzelnen EU-Mitgliedsländern als staatliche Darlehen erhalten hatte. Die Moskauer Wochenzeitung "Nowaja gaseta" veröffentlichte ein Interview mit Wirtschaftsprüfer Philipp Tourovr, in dem sowohl Viktor Tschernomyrdin, der bis Ende März 1998 Premier war, als auch der gegenwärtigen Regierungschef Michail Kasjanow schwer belastet werden.
Beide, so Tourovr, hätten im Auftrag des Kreml ein höchst kompliziertes System zur Geldwäsche aufgebaut, das noch immer intakt sei. Von dem Blatt nach Größenordnungen der Manipulationen befragt, sagte Tourovr, es gäbe Anhaltspunkte, daß allein Tschernomyrdin von einschlägigen Darlehen Beträge in zwei-, womöglich sogar dreistelliger Millionenhöhe beiseitegeschafft habe.
In einschlägige Manipulationen, so Tourovr, sei auch Premier Kasjanow verwickelt. Der war im August 1998, als Moskau aufgrund von Wirtschaftskrise, Rubelabwertung und Bankencrash de facto Bankrott anmelden mußte, stellvertretender Finanzminister und für Kontakte zum IWF und zu westlichen Gläubigern zuständig gewesen.
Auch Jelzin im Visier
Während Rußland sich bereits für zahlungsunfähig erklärte, habe Kasjanow den Löwenanteil jener 4,8 Mrd. US-Dollar, die Moskau knapp vier Wochen vor Ausbruch der Krise vom IWF zur Stabilisierung der maroden Wirtschaft und des schwer angeschlagenen Rubel bekommen hatte, Banken, die eng mit dem Kreml verbandelt waren, zum Kauf angeboten. Obwohl Rußlands Notenbank damals den offiziellen Dollar-Wechselkurs bereits auf 1:30 festgesetzt hatte, soll Kasjanow die Greenbacks zum alten, künstlich hoch gehaltenen Kurs verscherbelt haben, bei dem der Dollar nur sechs Rubel kostete.
Auch an Jelzin selbst, dem häufig zugute gehalten wird, er habe von den dunklen Machenschaften seiner Umgebung wenig oder nichts gewußt, läßt Tourovr kein gutes Haar. Der damalige Kremlchef habe schon 1993 per Geheim-Ukas verfügt, daß die Erlöse aller wichtigen Ex- und Importgeschäfte über Sonderkonten laufen müßten. Für diese waren nur handverlesene, kremltreue Personen und Unternehmen zeichnungsberechtigt. Zunächst reagierte keiner der Beschuldigten auf Tourovrs Auslassungen.
Tourovr besitzt Insiderwissen. Seine Aussagen führten bereits zu "Kremlgate" - einem Verfahren, das 1998 die damalige Bundesanwältin der Eidgenossen, Carla Del Ponte, gegen Mitglieder des Jelzin-Clans wegen Korruption und Geldwäsche eröffnete. Der Vorgang füllt inzwischen Hunderte von Ordnern. Zu Tschernomyrdin und Kasjanow liefen die Ermittlungen ebenfalls auf Hochtouren.
Tourovr erklärte sich auch bereit, als Entlastungszeuge für den republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten George W. Bush aufzutreten. Der hatte bei einer Fernsehdebatte am 11. Oktober dem Kandidaten der Demokraten, Al Gore, vorgeworfen, tatenlos zugesehen zu haben, wie Tschernomyrdin westliche Kredite "privatisierte." Tschernomyrdin drohte Bush daraufhin mit einer Klage.