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Toni Schönfelder
A lifetime of innovation

WELT AM SONNTAG 10 nov 2002


Mama, Papa und der geniale Sohn
Präsident George W. Bush steht stärker da denn je. Die Europäer haben ihn und das Netzwerk seiner Familie unterschätzt



Von Thomas Kielinger

Tony Blair war beeindruckt. Es war wenige Tage nach dem 11. September 2001, und George W. Bush hatte nur noch etwas mehr als eine Stunde bis zu dem wohl wichtigsten Auftritt seiner Amtszeit, einer Rede um neun Uhr abends vor beiden Häusern des Kongresses. Der Besucher aus London konnte es gar nicht fassen, wie gelassen sein Gastgeber mit ihm plauderte, während die Minuten dahintickten. "Look", wendete dieser sich an Blair, "man hat mir schon so oft gesagt, dass dies die wichtigste Rede meines Lebens sein werde, es nutzt sich ein bisschen ab, finde ich. Ich kenne sie, ich habe sie eingeübt, ich bin bereit. Was soll ich noch tun?" Die Ruhe war nicht gekünstelt. Seit jenem 11. September hat George W. Bush so etwas wie seine Balance, seinen Rhythmus, seine Mission gefunden in einem Amt, das ihm am 12. Dezember 2000 erst durch Spruch des Obersten amerikanischen Bundesgerichts zugefallen war.

Für Ronald Reagan, den 40. Präsidenten der USA, war der Kampf gegen das "Evil Empire", das Imperium des Bösen, die Sowjetunion, Angelpunkt und Referenzwert seiner Präsidentschaft. Für George W. Bush, den 43. Präsidenten, füllt der internationale Terrorismus diese "Dienstbeschreibung" aus. Eine Herausforderung, an der er sich misst und gemessen wird. Eine Herausforderung, die seine vermeintlichen Schwächen, seine schlichte Art, der Welt gegenüberzutreten, in die Stärke des Entschlossenen verwandelt.

Hier geht es um mehr als die Chance zu wohlgesetzten Reden und Appellen. Hier liegt eine historische Chance für Bush, sich den Bürgern Amerikas als der wirkliche Gewinner des umstrittenen Herbstes 2000 nachträglich und nachdrücklich zu empfehlen. Und das genau spiegelt sich im Ergebnis der Kongresswahlen vom 6. November, den so genannten "Halbzeitwahlen", weil abgehalten auf halben Wege der Amtszeit eines Präsidenten: Die Amerikaner und George W. Bush haben endlich zueinander gefunden. Dem Chief Executive gelang dabei sogar das schier Unmögliche: Zum ersten Mal seit 50 Jahren beherrscht seine Partei wieder das gesamte politische Spektrum Washingtons - das Weiße Haus und das Kapitol,mit beiden Kammern dort. Kein Präsident der jüngeren Geschichte stand zu Hause in einer solchen Machtfülle da wie George W. Bush heute, und das am Vorabend eines möglichen Krieges gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein. Die "Hypermacht" USA wird von einem, durch breite Zustimmung getragenen Präsidenten angeführt - eine Paarung, die Geschichte machen wird.

Schon die Verabschiedung der neuen UN-Resolution zum Irak ist eine Demonstration dessen, was die Stunde geschlagen hat. Viele Beobachter kommen aus dem Staunen kaum heraus. Wie - das ist der Mann, der gemeinhin belächelt wird für seine stolpernde Redeweise, seine linkischen Mundwinkel, seine wie überfordert wirkende Art, den Komplexitäten der Welt mit simplen Floskeln zu begegnen? Die Fragen verraten einen Grundfehler der Betrachtungsweise, auf den gerade die Europäer in ihrem neunmalklugen Hochmut schon bei Ronald Reagan hereingefallen waren: Sie unterschätzen von Mal zu Mal diesen Typus von Politiker, weil sie in ihm vermissen, worauf Europa so großen Wert legt, ohne freilich die eigene politische Relevanz dadurch wesentlich gesteigert zu haben: den Intellekt, das Zweiflerische, den Kult der "sophistication", die Nuance.

George Bush jr. hat etwas von der Volkstümlichkeit und dem Charme von "middle America", wie sie zum Beispiel seinem Vater immer abgingen. Der Vater hatte sich mit seinen Öl-Millionen vergeblich zum Texaner zu stilisieren versucht, konnte den Ostküsten-Patrizier aus Connecticut eigentlich nie abstreifen. Was Wunder, bei seiner lupenreinen Establishment-Karriere: vom Kongress-Abgeordneten über seine Rolle als CIA-Chef, UN-Botschafter, Vizepräsident unter Ronald Reagan bis zum Präsidenten.

"Beruf: Sohn", hieß es höhnisch im Präsidentschaftswahlkampf über George jr., der selbst einmal einem Journalisten zuflüsterte: "Ich glaube, die Leute halten mich für eine Miniaturausgabe meines Vaters." Von dieser Last dürfte sich das älteste der sechs Kinder von Barbara und George Bush endgültig befreit haben. Auch wenn der Vater sich dem Sohn gern als Ratgeber anbietet: Die Weltkrise, vor die der Jüngere sich gestellt sieht, hat nur noch wenig gemein mit den Konfliktmustern vor zehn Jahren. In seiner anschaulich ungekünstelten Art beschrieb es der jetzige Präsident im jüngsten Kongresswahlkampf seinen Zuhörern so: "Seht mal, das ist doch ein ganz anderer Krieg, den wir da vor uns haben. Früher, da konnte man Panzer zerstören oder Flugzeuge oder Schiffe, und man wusste, man kam weiter. Aber die Terroristen, das sind Leute, die verstecken sich in Höhlen und schicken junge Menschen in den Selbstmord. Rücksichtslos." Wie der seiner Sache sichere Cowboy fährt er fort: "Wir werden sie alle erledigen." Und unter dem Lachen der Zuhörer: "Soll ich euch was sagen? Therapie hilft da überhaupt nicht."

Das ist die Reagan-Erbschaft. Dem eigenen, diplomatisch veranlagten Vater ist George Bush jr. weitaus weniger ähnlich, als man gemeinhin glaubt. Dem Sohn schreibt man eine viel bessere politische Nase zu, die rascher Witterung aufnimmt, ohne hohe Erwartungen. Auch erfasst er die, mit denen er es zu tun hat, schneller. So wie die Mutter Barbara, die Patriarchin der achtköpfigen Familie. Ihr gleicht Bush jr. mehr und mehr. Die Mutter ist berüchtigt für ihren zupackenden Verstand, ihren schnellen Witz und ihre raschen Entscheidungen, von Intuition und Instinkt geleitet. Ein Texas-Freund sagte einst dem jungen Bush ins Gesicht: "Du hast die Augen deines Vaters und das Mundwerk deiner Mama." Was der so Charakterisierte ergänzte: "Recht hast du. In meiner Familie sind Mutter und ich die Possenreißer und Schnellzüngigen, voller Respektlosigkeit."

Kenner des Bush-Clans meinen, während der methodisch präzise Aufbau der Drohkulisse gegen den Irak fortschreitet, im jetzigen Präsidenten die willensstarke, schnörkellose Hartnäckigkeit seiner Mutter wiederzuerkennen. Diese hat im Gespräch zugegeben, sie hätte nach dem 11. September 2001 wohl nicht die Zurückhaltung ihres Sohnes besessen, hätte vielmehr sofort mit einem Vergeltungsschlag geantwortet. Wahrscheinlich wie Bill Clinton nach dem Anschlag auf die amerikanischen Botschaften in Nairobi und Daressalam im August 1998: Der ließ ein Cruise-Missile abfeuern auf ein sudanesisches Ziel, wo angeblich chemische Waffen hergestellt wurden. Es war aber allen Erkenntnissen nach eine Produktionsstätte für Arzneimittel.

Kein Wunder, dass mit dieser Erfahrung im Erinnerungsspeicher der Sohn, was "Nine-Eleven" angeht, besonnener vorging, als es die Mutter vielleicht getan hätte, und mehr dem Vater nachstrebt, bis hin zur spät erworbenen Überzeugung, dass es nicht ganz ohne die UNO geht. Einem Freund aus frühen Jahren in Texas, Rich Bond, verriet er bald nach dem 11. September: "Wenn ich handel, werde ich keine Zwei-Millionen-Dollar teure Rakete auf ein zehn Dollar billiges Zelt abschießen und ein Kamel in seinem Hinterteil treffen." Die sechs Terroristen im Jemen, die vor einer Woche durch eine unbemannte amerikanische "Drohne" ausgeschaltet wurden, bilden den jüngsten Beleg dieser zielsicheren Entschlossenheit.

Im Oval Office, im Amtszimmer des Präsidenten, haben Barbara und Jenna, die beiden zwanzigjährigen Zwillingstöchter von Laura und George W. Bush, dem Vater einen aus Pappmaschee-Buchstaben geformten Satz auf eines der Regale gestellt: "Number One Dad". Es ist ungefähr das Einzige, was an diesem Präsidenten zurzeit aus Pappmaschee geformt ist. Wie konnte sich Gerhard Schröder nur so täuschen.

Der Hochmut der Europäer.

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