Datum: 01.02.2000
Autor: Olivia Schoeller
Europa im Sumpf der Korruption
Eine Art von Übelkeit befällt dieser Tage die Redaktion der französischen
Tageszeitung "Le Figaro", wenn sie nach Deutschland blickt. Natürlich geht
es wieder um die Parteispendenaffäre, doch kritisieren die konservativen
Kommentatoren nicht Helmut Kohl, sondern "die Säuberungswelle, die gegen ihn
läuft". Die Franzosen, so schwört der "Figaro", "lieben diesen Kanzler, der
wie kein anderer nur davon träumte, die Nation Nietzsches für immer in
Europa einzubinden". Die Aufklärung möglicher Vergehen Kohls sei einzig
Sache der Justiz, riet das Blatt in jener unaufgeregten Art, wie sie in
letzter Zeit häufig aus dem europäischen Ausland zu hören war.
Der Rat wäre glaubwürdiger, käme er aus tugendhaftem Munde. In Frankreich
wird derzeit gegen Ex-Finanzminister Dominique Strauss-Kahn wegen
Veruntreuung ermittelt, und es ist gerade mal ein Jahr her, da trat die
gesamte Europäische Kommission wegen ihrer jahrzehntelangen
Vetternwirtschaft, wegen Korruption und Betrug zurück. Manche europäische
Politiker mögen standhaft sexuellen Versuchungen trotzen, ein Kontinent der
Saubermänner ist Europa dennoch noch lange nicht.
Wenig Vertrauen
In Italien sind Politiker seit 1992, als der wohl umfassendste europäische
Korruptionsskandal aufgedeckt wurde, zwar wesentlich vorsichtiger bei der
Annahme von Spenden im Laufe der Untersuchungen wurden Strafverfahren gegen
mehr als 600 italienische Parlamentarier fast aller Parteien eingeleitet ,
dennoch scheinen die Italiener auch heute noch keine Alternativen zu sehen:
Trotz seiner Verurteilung wegen Betrugs wird der Medienmogul Silvio
Berlusconi noch immer gewählt.
Wie in Rom wird auch in Paris heute die Verstrickung von Politik und Geld
strenger betrachtet als noch vor ein paar Jahren. In der vergangenen Dekade
wurden in Frankreich 30 Personen der Korruption angeklagt, darunter Minister
und Wirtschaftsbosse. Seit 1995 dürfen Unternehmen und Gewerkschaften nur in
Ausnahmefällen einer Partei Geld geben. Niemand darf mehr als 15 000 Mark
spenden, und Parteispenden ab umgerechnet 300 Mark müssen veröffentlicht
werden, schreibt das britische Magazin "Economist".
Nach den Korruptionsskandalen der Regierungszeit des sozialistischen
Parteichefs Felipe Gonzalez beobachten auch die Spanier ihre Politiker
genauer. In den Regionen muss aber immer noch, wie auch in Portugal, mit
Bestechlichkeit gerechnet werden. Heute müssen in Spanien Parteispenden,
wenn sie fünf Prozent der staatlichen Un-terstützung überschreiten,
deklariert werden. Nach wie vor dürfen Parteien sowohl aus dem Ausland wie
auch von Unternehmen und Gewerkschaften Spenden entgegennehmen. Ob der
Korruption freilich mit einer Limitierung der Spenden begegnet werden kann,
ist fraglich. In Schweden sind im Gegensatz zur Bundesrepublik und zu
Frankreich ausländische Spenden zugelassen, und es gibt auch keine
Vorschrift, ab welcher Summe Spenden deklariert werden müssen. Dennoch gilt
das skandinavische Land als nahezu korruptionsfreier Musterstaat. Im
vergangenen Jahr trat eine Ministerin zurück, als bekannt wurde, dass sie
mit einer staatlichen Kreditkarte ein kleines Geschenk für ihr Kind
erstanden hatte.
Derartige Integrität hat lange Zeit dafür gesorgt, dass der Norden Europas
als poli-tisch korrekt eingeschätzt wurde, während die Korruption vor allem
als eine Krankheit des Südens galt. Doch spätestens seit in Brüssel Mitte
der 90er-Jahre bekannt wurde, wie belgische Politiker mit ausländischer
Rüstungsindustrie zusammenarbeiten und inmitten des Korruptionssumpfes auch
noch Vorwürfe wegen Kinderhandels laut wurden, ist diese Auffassung
hinfällig. Heute dürfen belgische Parteien zwar noch immer finanzielle
Unterstützung aus dem Ausland akzeptieren, Unternehmen und Gewerkschaften
sind aber Beiträge an Politiker in Belgien untersagt.
Verbot ausländischer Spenden
Nachdem auch die politische Klasse in Großbritannien zur Zeit der
Tory-Regierung wegen Parteispenden- und Bestechungsskandalen sowie den
daraus folgenden Rücktritten von Ministern in Verruf geriet, ging die
Regierung unter Labour-Premier Tony Blair daran, das Spendensystem zu
reformieren. 1998 legte ein Parlamentsausschuss einen Bericht vor, der nun
im Gesetzgebungsverfahren seinen Niederschlag findet. Bei Zuwendungen von
umgerechnet über 16 000 Mark müssen Spender und Empfänger veröffentlicht
werden. Nachdem bekannt wurde, dass die finanzschwachen Torys Teile ihrer
Spenden von Auslandskonten des eigenen Schatzmeisters erhielten, strebt
Blair ein generelles Verbot ausländischer Spenden an.